(NGZ) Sie kommen im Schutze der Dunkelheit und treiben auf Friedhöfen ihr Unwesen: In Grevenbroich und Umgebung sind seit Karneval verstärkt Metalldiebe am Werk. Sie kundschaften die Ruhestätten aus und halten gezielt Ausschau nach Grabbeigaben, die sich zu Geld machen lassen. Auf dem städtischen Friedhof an der Bongarder Straße in Allrath sind Kriminelle vor wenigen Tagen mit besonderer Skrupellosigkeit vorgegangen. Metalldiebe hatten es dort auf große Bronzefiguren abgesehen, die sie mit teils brachialer Gewalt versuchten, aus ihrer Verankerung zu lösen. Das ist den Tätern in mehreren Fällen gelungen – so am Grab der Eltern von Heinz Mostert. Jahrelang hatte dort eine 90 Zentimeter hohe Madonna aus Bronze gestanden, darüber hinaus hatte eine Schale aus Bronze die Ruhestätte geziert. Beides ist verschwunden. Der Materialwert: vielleicht 150 Euro. Von der Mutter Gottes ist nur ein kleiner Teil der Befestigung geblieben.
Heiligenfigur mit Gewalt aus der Verankerung gerissen
Das Fehlen der Grabbeigaben hat Mosterts Tochter festgestellt, während ihr Vater auf Kreuzfahrt war. „Mich macht der Diebstahl fassungslos“, sagt der Allrather, der das Vorgehen der Täter für pietätlos hält. Sie richten nicht nur einen finanziellen Schaden an, sondern auch einen emotionalen. „Sie haben die Figur mit Gewalt herausgerissen“, sagt Mostert mit einigem Ärger. Seine Tochter hat Anzeige bei der Polizei erstattet. Ob sich der oder die Täter ermitteln lassen, ist jedoch mehr als fraglich.
Heinz Mostert ist aber nicht der einzige Betroffene in Allrath. Er kennt noch mehr Fälle und weiß: „Die Täter schrecken nicht einmal vor Kindergräbern zurück.“ Betroffen ist in diesem Fall Familie Titzer. Die Gräber von deren Angehörigen auf dem Allrather Friedhof sind gleich zweimal von Metalldieben heimgesucht worden, und das binnen weniger Tage.
Wie Winfried Titzer sagt, haben Diebe zunächst am 6. April eine 87 Zentimeter hohe Madonna vom Grab seiner Schwiegereltern gestohlen. Die Heiligenfigur mit Jesuskind auf dem Arm war mit mehreren Bolzen in den Fuß eines Granit-Grabsteins geschraubt. Zu sehen sind noch die Spuren der Metallsäge. Der finanzielle Schaden: 7000 Euro. Schlimmer aber, sagt Titzer, ist der emotionale Schaden. Die Familie hat den Fall zur Anzeige gebracht.
Metalldiebe beschädigen auch ein Kindergrab in Allrath
Als wäre das mit der Madonna noch nicht genug gewesen, kamen die Täter wenige Tage noch einmal zurück – diesmal wohl in der Nacht zum 10. April, um sich am Grab von Titzers verstorbener Tochter zu schaffen zu machen. Beim Versuch, eine Engelsfigur aus Bronze zu stehlen, hebelten die Täter dort offenbar auch am Grabstein, der in der Folge nach hinten kippte.
Die Figur selbst nahm Schaden, blieb aber stehen. Ein Fachmann für Grabmale hat sie inzwischen abgebaut und in Sicherheit gebracht. „Sie wird wieder aufgebaut, aber noch besser gesichert“, sagt Winfried Titzer. Dass die Diebe auch vor dem Grab seiner Tochter nicht Halt gemacht haben, die kurz vor ihrem achten Geburtstag gestorben war, löst bei ihm Entsetzen aus. Auch seine Frau habe damit sehr zu kämpfen, sagt Titzer: „Das sind gewissenlose Diebe.“
Täter verfrachten ihre Beute wohl ins Ausland
Die beiden Allrather gehen davon aus, dass angesichts des Gewichts der Figuren mehrere Täter am Werk waren. Sie müssen auch mit einem Fahrzeug zum Friedhof gekommen sein. Mostert und Titzer glauben, dass die Metalldiebe ihre Beute ins benachbarte Ausland bringen, um es dort auf dem Schrott zu Geld zu machen (wobei der Materialwert vergleichsweise gering ist). Grabbeigaben aus Bronze könne man hierzulande aus Gründen nicht mehr ohne Weiteres loswerden: Viele Betriebe verlangen von den Anlieferern einen Ausweis. In den Niederlanden oder Belgien hingegen soll das nicht der Fall sein. Die Allrather möchten trauernde Angehörige sensibilisieren – für die Gefahren des Diebstahls, und auch für verdächtige Beobachtungen, die sie womöglich auf Friedhöfen machen (auch in der Dunkelheit).
Diebstahl erreicht durch Figuren-Klau eine neue Dimension
Das Thema „Diebstähle auf Friedhöfen“ ist kein neues, nimmt nun offenbar aber eine neue Dimension an. In den vergangenen Monaten waren immer mal wieder Fälle bekannt geworden, wo Grablampen oder Pflanzschalen aus Metall gestohlen wurden – aber ganze Figuren? Das ist neu. „Und die Diebe sind noch nicht fertig“, glaubt Silke Geuer vom gleichnamigen Betrieb für Grabmale in Grevenbroich. „Kurz vor Karneval ging’s los“, sagt sie: „In Neurath, dann in Wevelinghoven, in Noithausen, in der Stadtmitte und Elsen.“ Figuren würden geklaut, Kreuze, Schalen – alles, was sich zu Geld machen lässt. „Auch wir sind betroffen“, sagt Geuer.
Betrieb für Grabmale ist selbst Opfer geworden
Konkret sei eine Schale aus Bronze gestohlen worden, die 48 Jahre lang auf dem Grab von Silke Geuers Eltern gestanden hatte. Und das wohl in der Nacht nach Aschermittwoch. Die Schale wurde, so Geuer, mit einem Brecheisen von der Platte gehebelt, auf der sie befestigt war. „In der Zeit danach haben sich immer mehr Kunden bei uns gemeldet“, sagt die Grevenbroicherin, die den Ärger ihrer Kunden mehr als nachvollziehen kann.
Auch wenn der Betrieb von Grabmalen lebt, schimpft sie: „Für mich sind solche Fälle von Diebstahl Grabschändungen. Das ist nichts anderes als eine Störung der Totenruhe.“ Ihr Mann Michael Geuer äußert sich ähnlich: „Das Vorgehen der Diebe ist brutal, es ist wirklich traurig.“ An den entwendeten Gegenständen würden viele Emotionen hängen. „Wer etwas Verdächtiges beobachtet, sollte sofort die Polizei rufen“, sagt er.
Polizei verzeichnet 200 Diebstähle auf Friedhöfen
Tatsächlich beschäftigt das Thema „Grab-Klau“ auch die Kreispolizeibehörde. Wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte, hat die Polizei im Rhein-Kreis Neuss von Januar 2024 an rund 200 Fälle von Diebstählen auf Friedhöfen verzeichnet – eine Zahl, die auf manche erstaunlich hoch wirkt. Allein auf das Stadtgebiet Grevenbroich entfallen 70 Fälle. Die Polizei kann die Friedhöfe jedoch nachts nicht bewachen und ist auf Zeugenhinweise angewiesen.
Alternativen zu Grabbeigaben aus Bronze
Die Opfer des Metalldiebstahls bleiben derweil in sehr vielen Fällen auf dem entstandenen Schaden sitzen. Heinz Mostert aus Allrath überlegt noch, ob er wirklich eine neue Bronzefigur aufstellen lassen soll. Oder ob er eine Alternative wählt. Silke Geuer sagt, dass es für Gräber auch Pflanzschalen aus Naturstein gibt, und Vasen aus Aluminium. Auch Figuren ließen sich aus Stein fertigen. „Aber die sind mit einem höheren Pflegeaufwand verbunden, weil ihre Oberfläche nicht glatt, sondern rau ist“, sagt sie.
INFO
Täter Die Metalldiebe steuern die Friedhöfe in Grevenbroich immer wieder neu an: um sie auszukundschaften und um dort Diebstähle zu begehen. In Allrath waren sie mindestens zweimal am Werk. Es ist davon auszugehen, dass der oder die Täter auch mit einem Fahrzeug vor Ort waren.
Hinweise Wer verdächtige Beobachtungen auf Friedhöfen macht, sollte die Polizei verständigen: unter 02131 3000 oder (in dringenden Fällen) über den Notruf 110. Gleiches gilt für Menschen, die Hinweise zum Verbleib von Figuren, Kreuzen und Grabbeigaben geben können, die auf Friedhöfen gestohlen wurden.