(NGZ) Auf der Vollrather Höhe ist etwas anders als sonst. Dort, wo seit vergangenem Jahr ein hölzernes „Gipfelkreuz“ steht, fehlt seit Ende April ein zentrales Element: die Christusfigur. Der Korpus, der das Kreuz für viele erst zum Symbol macht, ist verschwunden. Zurück bleiben nur das Holzgestell und viele Fragen. Ob von Metalldieben entwendet, um den Korpus irgendwie zu Geld zu machen oder einfach aus Lust an der Zerstörung, bleibt offen. „Vielleicht wird sie auch nur vom Initiator des Kreuzes saniert“, hoffen Besucher, die am Holzkreuz stehen.
Pilger stellten im Juni 2024 das Gipfelkreuz auf. Mitsamt Hinweisschild, das den Weg zum versteckten Kleinod wies. In einem Holzkasten wurden außerdem Hefte platziert, bisher sind drei Stück schon mit freundlichen Worten von Spaziergängern vollgeschrieben. Die halten darin kurz ihre Gedanken fest, loben die Stille des Waldes, kommen aus der Nähe oder von weiter her, um auf der Vollrather Höhe die Natur zu genießen.
Manch einer verewigt sich mit einem lockeren Spruch, vermisst an der schönen Stelle ein kühles Getränk oder genießt einfach die Aussicht, denn rundum ist nur Natur. Und irgendwie ist der Ort ein „Lost Place“, der seinen ganz besonderen Reiz hat. Vögel zwitschern, Bienen schwärmen, am Wegesrand stehen verrostete Schilder, die auf das eingezäunte Sicherheitsgebiet rund um eine Richtfunkstation auf der Anhöhe verweisen.
So lobt ein Wanderer, der die Vollrather Höhe seit 40 Jahren kennt, „die schöne Sache“ und „den Alpencharakter“ – auch wenn die Anhöhe hier an ihrem höchsten Punkt nur 187 Meter hoch ist. Eine Mutter zeigt ihrem Sohn, „wie schön es hier ist“ und ein Schreiber namens Peter freut sich, früh morgens der erste auf dem Gipfel zu sein. Ein Trio besucht das Kreuz bei Bilderbuchwetter und entscheidet sich „über den Abenteuerpfad“ hinab zum Indianertal am Welchenberg zu gehen. Immer wieder begegnen einem Menschen, in Gruppen oder alleine auf dem Hausberg. Auf dem erinnert zudem eine Gedenkstelle, an das Gut Vollrath, das vor dem Bau der Höhe abgerissen wurde. Eine weitere erinnert an die Kultstätte „Drei Linden“, wo eine junge Frau unschuldig hingerichtet wurde. An der Stelle wuchsen laut Sage drei Linden, die später das Ziel von Verliebten waren.
Begonnen hat die Geschichte der Vollrather Höhe im Jahr 1955, als Rheinbraun damit begann, Abraum aus dem Braunkohletagebau aufzuschütten. Bis 1968 wuchs die Halde an – und wurde schließlich zu einem der markantesten Punkte im Stadtgebiet. Seit 1973 ist sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Namensgebend für die Abraumhalde war das Gut Vollrath, das bis 1953 an genau dieser Stelle stand. Ein Gedenkstein erinnert heute an das einstige Anwesen. Auch das Wegekreuz, das früher in der Nähe des Flothgrabens zwischen Allrath und Barrenstein aufgestellt war, wurde im Zuge der Geländeumgestaltung verlegt. Das Plateau auf 165 Metern Höhe wird bis heute landwirtschaftlich genutzt. Landwirte bewirtschaften dort ihre lösshaltigen Äcker und erreichen sie über mehrere Trassen, die rund um die Höhe verlaufen.
Der Allrather Heimatforscher Rolf Esser kennt die Geschichte der Halde genau. Bei einem Vortrag im neu gestalteten Kirchenraum seines Heimatdorfes teilte er Ende März sein Wissen mit zahlreichen Interessierten. Dabei gestaltete sich die Suche nach Informationen ziemlich schwierig, da sich die Betreiber des Tagebaus offenbar wenig mit der historischen Dimension befassten. Die Veranstaltung, zu der die Initiative „Allrath aktiv“ gemeinsam mit dem Geschichtsverein Grevenbroich eingeladen hatte, stieß auf so große Resonanz, dass spontan zusätzliche Sitzplätze organisiert werden mussten.
Genannt hat Esser den Vortag „Berg vor der Haustür“ – viele Grevenbroicher verbinden die Vollrather Höhe mit Heimat. Wer zur Ruhe kommen will, findet diese vor Ort auch: Am Wegesrand blühen wilde Blumen und rund um die Halde führen Wege, die vor Kurzem teilweise bearbeitet wurden, sodass sie vielleicht irgendwann wieder begehbar sein werden. Abseits der asphaltierten Straße trifft man scheue Rehe. Und in den Kästen, die an den Bäumen entlang angebracht sind, nisten seltene Vögel und Fledermäuse.
Auf der Vollrather Höhe stehen außerdem 13 Windräder, die im Jahr 2016 ersetzt wurden und eine Leistung von je 2,5 Megawatt haben. Zukunftspläne gibt es auch: Seit längerer Zeit ist ein bis zu 30 Meter hoher Aussichtsturm geplant. Dieser soll an der Kultstätte drei Linden entstehen. Bereits 2028, je nach konkretem Planungsbeginn, könnte der Turm schon stehen. Um den geeigneten Standort auszuwählen, stellte die Feuerwehr Grevenbroich im März 2025 ihr Fahrzeug zur Verfügung: So befuhren die Planer das Plateau mit einer 30 Meter hohen Drehleiter.
INFO
Routen Über die Vollrather Höhe verlaufen der „Energiepfad Grevenbroich“ sowie der Randwanderweg „Niederrheinroute“. Jogger, Wanderer und auch Radfahrer nutzen die Auffahrt als Trainingsmöglichkeit. Der Wanderweg X2 führt auch über die Vollrather Höhe – alternativ kann man auch westlich daran vorbei laufen.